Bioweine und Natural Wines.pur

Ein Artikel von Daniela Dejnega | 10.07.2014 - 14:53

Biowein ist etabliert. Das neue Nischenprodukt polarisiert: Natural Wine - Bereicherung oder Zumutung?

„Bioweine“ und „Naturweine“ – das waren die wein.pur-Themen im November 2013. Biowein kommt von zertifizierten Biobetrieben, klar. Äußerst gespannt waren wir aber, welche Arten von „Naturweinen“, „Natural Wines“ und „Orange Wines“ zur Verkostung eingereicht würden. Denn die Krux an der Sache ist: Es gibt keine offizielle Definition, geschweige denn eine gesetzliche Regelung, was „Naturwein“ eigentlich ist.

Weg vom Nischendasein

Bleiben wir vorerst beim Biowein. Biowein ist nicht länger ein Nischenprodukt, sondern er baut seine Bedeutung auf dem europäischen Markt immer weiter aus.Die Biofläche im Weinbau steigt auf der ganzen Welt rasant. Bei einer Gesamtrebfläche von 7,5 Mio. ha macht der globale Bio-Anteil mit rund 259.000 ha zwar nur 3,4 % aus, aber die Entwicklung der letzten Jahre spricht eine ganz deutliche Sprache: Nach Zahlen des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) hat sich die Bioweinbaufläche von 2004 bis 2011 nämlich verdoppelt! An die 90 % der weltweiten Biowein-Produktion finden in Europa statt, dessen Bioanteil bei 5,3 % liegt. Über die meisten Biorebflächen verfügt dabei Spanien mit ca. 30 %. Spanien, Frankreich und Italien besitzen gemeinsam drei Viertel der weltweiten Bioweinbaufläche. Das kleine Österreich hat global gesehen zwar nur einen Anteil von 1,6 % (ca. 4.200 ha), aber beim Prozentanteil von Bio an der Gesamtproduktion eines Landes führt es aktuell die internationale Rangliste an. Mit 9,5 % Bio-Anteil im Weinbau liegt Österreich noch vor Frankreich (8 %), Spanien (7,9 %), Italien (7,3 %) und Deutschland (6,8 %). Für die kommenden Jahre ist mit einem weiteren Anstieg der Bioflächen auf der ganzen Welt zu rechnen.

Bio heißt Qualität

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Das Weingut Manincor in Kaltern/Südtirol ist seit 2009 biodynamisch zertifiziert. © Weingut Manincor

Biowein erfüllt nicht länger das Klischee vom Nischendasein in Bioläden, wo bekannterweise in erster Linie Veganer in Birkenstock-Sandalenein kauften. Bio ist heute einerseits schick und andererseits auch im Mainstream angekommen. Dazu kommt, dass Bioweine in den letzten Jahren einen deutlichen Qualitätssprung gemacht haben. Über Biowein wird nicht mehr die Nase gerümpft. Die Weine schmecken hervorragend und bieten Weingenuss auf höchstem Niveau. Dabei ist es ganz egal, ob man bewusst nach einem Bio-Produkt gesucht hat oder rein zufällig beim Biowein gelandet ist – zum Beispiel, weil der Name eines bekannten Winzers auf dem Etikett prangt. Tatsächlich haben viele österreichische Topwinzer schon seit Jahren auf biologisch-organische oder biologisch-dynamische Bewirtschaftung umgestellt. Ihre Weine sind dadurch nicht schlechter geworden – ganz im Gegenteil! Manche Betriebe hängen ihre Bio-Zertifizierung nicht an die große Glocke. Immer wieder erlebte das wein.pur-Team beim Aufdecken der Etiketten nach der Verkostung der Bioweine Überraschungen. „Was, das ist auch ein Biobetrieb? Das wusste ich ja gar nicht“, war des Öfteren von dem einen oder anderen Jury-Mitglied zu hören.

Bio ist die Zukunft

Bio ist ein Trend, der bestehen bleiben wird. Die Konsumenten können durch ihr steigendes Bedürfnis nach gesünderen, schadstofffreien und nachhaltig produzierten Lebensmitteln einen gewissen Druck auf die Hersteller von Lebens- und Genussmitteln ausüben. Auf Produzentenseite Bio als reine Marketing-Schiene zu benutzen, wird nicht funktionieren. Viel zu viel Arbeit, Aufwand und Überzeugung stecken dahinter, bis man ein zertifizierter Biobetrieb ist und bleibt. Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt. In jeder Branche gibt es schwarze Schafe, so auch in der Bio-Branche. Es ist weiterhin notwendig, die Konsumenten zur Aufmerksamkeit zu erziehen, sie auf gültige Bio-Kennzeichnungen und Logos hinzuweisen und Unterschiede zu erklären.

Bio auch im Keller?

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Achtung! Fred Loimer vinifiziert nicht nur hervorragende Bioweine. Auch seine Orange Wines sind ein Vergnügen für experimentierfreudige Weintrinker. © Loimer

In der EU galt Biowein jahrelang rechtlich gesehen als „Wein aus Trauben biologischen Ursprungs“. Das heißt, die biologisch-organische Bewirtschaftung im Weinbau bezog sich ausschließlich auf den Weingarten, also auf die Produktion der Trauben und nicht auf die Vinifikation. Im August 2012 trat endlich die „Europäische Durchführungsverordnung zur ökologischen Weinbereitung“ (203/2012) in Kraft, die strengere Regelungen bei önologischen Verfahren für Biowein festlegt. Von den Bioverbänden wurde die neue EU-Richtlinie als zu großzügig kritisiert, denn spürbar verschärft wurden die Bedingungen eigentlich nur beim Sulfitgehalt (Schwefeldioxid, SO2) im Wein. Der Grenzwert wurde für alle Weinarten (Rot, Weiß und Rosé), deren Restzuckergehalt unter 2 g/l liegt, um 50 mg/l tiefer angesetzt als beim konventionellen Wein. Für alle anderen Weine wurde der maximale Schwefeldioxidgehalt im Vergleich zu konventionellen Weinen um 30 mg/l verringert. Biowein aber ausgerechnet an niedrigeren Schwefeldioxidgehalten festzumachen, wird von vielen Seiten kritisch beäugt.

Die EU-Bioverordnung verbietet für Biobetriebe zwar energieintensive Verfahren, wie zum Beispiel die teilweise Konzentrierung durch Kälte, die teilweise Entalkoholisierung oder die Behandlung durch Elektrodialyse, aber insgesamt ist rund die Hälfte aller Weinbehandlungsmittel und Verarbeitungsmethoden, die bei der konventionellen Weinbereitung erlaubt sind, auch für die biologische Weinproduktion zugelassen. Die EU-Bioverordnung ist ein Kompromiss, der für viele Länder mit unterschiedlichen Ansprüchen und Bedingungen gelten muss, und immerhin ein Anfang.

Konventionelle Weinbehandlungsmittel

Weil gerade angesprochen: Die aktuelle Liste der in Österreich offiziell gemeldeten Weinbehandlungsmittel wies in der Version vom 22. November 2013 insgesamt 2.015 Einträge auf. Zum Beispiel gibt es allein für das Schönungsmittel „Gelatine“ 73 zugelassene Produkte von verschiedenen Firmen. Andere Produktgruppen in dieser Liste sind Bentonite (Tonmineralien), Enzyme, Entsäuerungsmittel, Tannine, Böckser-Behandlungsmittel, Aktivkohle, Gummi arabicum, Milchsäurebakterien, Trockenhefepräparate, Hefenährstoffe, Filterhilfsmittel, Eichenholzstücke etc. Diese Behandlungsmittel und Additive sind nicht böse, sondern erfüllen einen bestimmten Zweck. Manche sind weniger notwendig als andere. Einige dieser Mittel dienen auch lediglich dazu, bestimmte unerwünschte Stoffe zu binden und werden dann gemeinsam mit diesen wieder vom Wein abgetrennt. Alle haben sie ihre Funktion, und die meisten Winzer setzen mehrere davon regelmäßig ein. Dennoch wird Wein gerne als „reines Naturprodukt“ verkauft und wird auch vom Konsumenten dafür gehalten. Das ist aber nicht ganz korrekt. Auch wenn man es nicht gerne hört: Nicht jeden Wein sollte man als „natürlich“ oder „naturbelassen“ bezeichnen.

Das neue Nischenprodukt

Genau dies bringt uns zum Thema „Natural Wine“. Das Bestreben der Produzenten von „Natural Wine“ ist es, auf möglichst alle Weinbehandlungsmittel zu verzichten und ihren Wein mit ganz wenigen Eingriffen, also möglichst „naturbelassen“ herzustellen. Verzicht auf Reinzuchthefen, kein oder minimaler Zusatzvon SO2 und Verzicht auf Filtration lauten nur ein paar Schlagworte dazu. Für „Natural Wine“ gibt es zahlreiche Synonyme: „Orange Wine“, „Raw Wine“, „Vinnaturel“ oder „Naturwein“. Keiner dieser Begriffe stellt so richtig zufrieden. Gegen den Begriff „Naturwein“ rebellieren die Hersteller „herkömmlicher“ Weine. Der Ausdruck „Raw Wine“ wird manchmal abgelehnt, weil er abwertend mit „grob“ oder „roh“ übersetzt werden könnte.„Orange Wine“ bzw. „Orange Weine“ scheinen brauchbar, führen aber auch ein wenig in die Irre. „Orange Wines“ besitzen wohl mitunter eine orange Farbe, die auch gerne neben Rot, Weiß und Rosé als vierte Weinfarbe bezeichnet wird – das muss aber nicht der Fall sein.

Was ist „Orange Wine“?

Prinzipiell handelt es sich dabei um Wein, der Farb- und Gerbstoffe aus dem Kontakt mit den Schalen weißer Trauben erhalten hat. Im Prinzip wird wie bei der Rotweinproduktion vorgegangen. Die Traubenschalen (und mitunter auch die Stiele) bleiben über eine bestimmte Zeit in Kontakt mit dem Most (Maischegärung) und/oder dem fertigen Wein. Dabei werden Farbstoffe, Phenole und Tannine extrahiert. Wie lange ein Wein mit der Maische in Kontakt ist, entscheidet der Winzer. Es gibt Maischestandzeiten von einigen Tagen bis zu mehreren Monaten. Dadurch besitzen die Weine deutlich mehr Tannine als jene Weißweine, die wir gewohnt sind. Die Gerbstoffe verleihen den Weinen eine spezielle Struktur. Beim Kosten spürt man Tannin wie beim Rotwein, gleichzeitig aber eine dem Weißwein zugehörige frische Säure – ein neues, interessantes Geschmackserlebnis. Beim Maische-Kontakt werden auch Farbstoffe aus den Traubenschalen gelöst. Diese und der oft langfristige Kontakt mit Sauerstoff sind für die etwas dunklere Farbe der „Orange Wines“ verantwortlich. Das Farbspektrum reicht von Gelb über Hell- und Dunkelorange bis hin zu Bernstein- oder Ziegelrot, es hängt aber auch von der Rebsorte ab. Kommt der Wein unfiltriert auf die Flasche (was oft der Fall ist), kann auch eine leichte Trübung vorhanden sein, die den Geschmack aber nicht weiter stört. „Natural Wines“ können natürlich auch aus Rotweintrauben hergestellt werden.

Wer macht „Natural Wines“?

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Weingarten im Südtiroler Eisacktal. Na sowas, fast hätte Garliders Grüner Veltliner die Österreicher geschlagen. © Weingut Garlider

Tja, „Natural Wines“ kann praktisch jeder Winzer machen. Überwiegend kommen die Weine von biologisch-dynamischen Betrieben, aber das ist kein Muss und keine Grundvoraussetzung. „Orange Wines“ können auch aus konventionell produzierten Trauben entstehen. Tatsächlich experimentieren zurzeit hauptsächlich Biobetriebe mit dieser ursprünglichen Art Wein herzustellen. Es passt zu ihrer Philosophie – möglichst im Einklang mit der Natur zu arbeiten, dem Wein zur Entwicklung genügend Zeit zu geben – und zu einer nachhaltigen Produktionsweise. Es sind auch jene Winzer, die gerne etwas Neues ausprobieren, sich immer weiter verbessern wollen und ihren Weinen auf diese Art mehr Tiefe und Lebendigkeit verleihen möchten. Wenn aber konventionelle Produzenten auf diesen Zug aufspringen, läuft der Markt Gefahr, komplett unübersichtlich zu werden. Biodynamischer „Natural Wine“ vs. „Natural Wine“ vom konventionellen Betrieb? Wer behält da den Durchblick? Klarheit muss erst geschaffen werden. Abgesehen von Begriffsverwirrungen und fehlender Definition polarisieren die „Orange Wines“ auch, weil Aussehen und Geschmack manchen unzumutbar erscheinen – ein Rückschritt, kein Fortschritt seien die „NaturalWines“.

Die Vorwürfe sind zahlreich. Hier einige Beispiele:

Vorwurf: Die Weine sind „unsauber“
Dies kann das wein.pur-Team nach der Verkostung von über 40 „Natural Wines“ nicht bestätigen. Nur zwei Weine konnten aufgrund sensorischer Mängel nicht bewertet werden. In dem Ausmaß kommt dies bei fast allen großen wein.pur-Verkostungen vor. Natürlich weisen die Weine ein anderes, außergewöhnliches Geschmacksprofil auf, das auf den ersten Eindruck ungewohnt und sperrig erscheint. Lässt man sich aber darauf ein, ist man bald fasziniert von dieser völlig neuen Geschmackswelt.
Vorwurf: „Orange Wines“schmecken alle gleich
Auch das stimmt so nicht. Kostet man sich durch eine kleine Auswahl verschiedener orange Weine, so wird schnell deutlich, dass sie sich genauso voneinander unterscheiden wie „normale“ Weiß- und Rotweine. Während Weißweine in Österreich und Deutschland primär von fruchtigen und frischen Aromen geprägt sind, treten bei den Orange Weinen andere Aromen – Trockenfrüchte, Gewürze sowie nussige und erdige Noten – in den Vordergrund. Das Aromen-Spektrum spiegelt natürlich auch den intensiveren Kontakt mit Sauerstoff wider.
Vorwurf: Die Sorte istnicht erkennbar
Die Sorte zu erkennen, ist zugegebenermaßen oft schwieriger und passiert weniger durch bestimmte Fruchtaromen, sondern eher durch die Struktur des Weines. Einen Riesling zum Beispiel wird man vielleicht nicht an seiner typischen Pfirsich- oder Marillenfrucht erkennen, dafür aber an seiner Säurestruktur und an seiner Filigranität. Ein orange Traminer, der auf den Schalen vergoren wurde, wird immer anders schmecken als seine weißen Pendants, die ohne Schalenkontakt vinifiziert wurden. Dennoch ist hier das typische Sortenaroma gut nachvollziehbar. Und: Genauso wie Rotweine verfügen die orange Weine je nach Sorte über eine gänzlich unterschiedliche Tanninausprägung.

Fazit

„Natural Wines“ sind ein Nischenprodukt, ein kleiner Trend ist aber spürbar. Sie sind eine Bereicherung für die Weinwelt und eine Alternative zum globalisierten Einheitsgeschmack des Mainstreams. Sie soll(t)en eine Abkehr von industrieller Weinproduktion hin zu Handwerk und Authentizität sein. Wer sie noch nicht kennt, sollte sie einmal probieren, auch ein zweites oder drittes Mal. Wer dann keinen Gefallen daran findet, soll eben darauf verzichten. Es gibt schließlich auch Muskateller-Hasser und Muskateller-Liebhaber.

Die Verkostung

Bei einigen Weinen waren wir ein wenig überrascht, dass sie in der Kategorie „Natural Wine“ und „Orange Wine“ angemeldet wurden, denn wir hätten sie nach ihrem Geschmacksprofil nicht diesen Kategorien zuordnen können. Wo aber keine offizielle Definition, da auch kein Grund, diese Weine von der Verkostung auszuschließen. Der überwiegendeTeil der „Natural Wines“ stammte aber von biologisch-organisch oder biologisch-dynamisch arbeitenden Betrieben. Die Verkostungen erfolgten wie immer verdeckt. Das wein.pur-Team hat sich bemüht, den Weinen die Zeit im Glas zu geben, die sie für eine gewisse Entfaltung benötigen. Bei der Bewertung der „Natural Wines“ haben wir das Merkmal „Sorten- und Gebietstypizität“ in den Hintergrund gerückt und uns mehr auf die Struktur und den Trinkfluss der Weine konzentriert. Verkostet wurden 98 Bioweine und 44 „Naturweine“. Die wein.pur-Jury (Daniela Dejnega, Alexander Lupersböck, Pépe Pérez-Ubeda, Luzia Schrampf, Ursula Ludwig und Gabriele Bichlbauer) vergab insgesamt 32 Mal „4 Gläser“ (15 Mal für „Bio“ und 17 Mal für „Natural“). Das ist ein beeindruckendes, erfreuliches und erstaunliches Ergebnis.

Die Verkostungsergebnisse finden Sie in unserer Datenbank