Gaumenrest oder Genussfest?

Ein Artikel von Klaudia Blasl | 16.01.2022 - 18:00

Mülltrennung schön und gut, aber was der durchschnittliche Österreicher im Laufe eines Jahres so alles an verwertbaren Genussgütern in die Tonne wirft, geht längst schon auf kein Tischtuch mehr. Angeblich erleiden über 20 Prozent aller gekauften Lebensmittel einen vorzeitigen wie unnötigen Tod im Abfallbehälter – was einem Wert von 300 bis 400 Euro entspricht. Genau so gut könnte man ein neues Smartphone entsorgen oder ein Thermenwochenende für die ganze Familie in den Kompost setzen.

Zweite kulinarische Chance

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© marekuliasz

40 Kilogramm potentieller Zutaten pro Haushalt landen jährlich im Müll statt in der Pfanne. Obst, das erste Falten wirft, Brot, das über Gebühr knackt und krümelt, Wurst, auf die man Scheibe für Scheibe den Appetit verloren hat, Salat, der ein wenig schlapp wirkt oder Topfen, für den man keine kulinarische Verwendung mehr sieht – kaum etwas erhält eine zweite lukullische Chance. Dabei entstammen viele der weltweiten Küchenklassiker dem Restlküchenrepertoire.

So etwa die zahlreichen Eintöpfe aus Hülsenfrüchten, Erdäpfeln, Getreide und Gemüse, die oft derart geschmackvoll und sättigend sind, dass sie bereits zu biblischen Zeiten nahezu überhöhte Preise erzielten. Immerhin hat Esau sein Erstgeburtsrecht für einen Teller Linseneintopf an seinen Bruder Jakob verscherbelt (Gen. 25,-29-34). Aber auch die toskanische Brotsuppe, die legendäre Bouillabaisse, die ursprünglich aus dem antiken Griechenland stammt und der Verwertung unverkäuflicher Fischreste diente, deftiges Moussaka, knackige Pizza oder mediterrane Paella gelten heute als allseits beliebte gastronomische Entertainer und zeigen, wie aus der Not knapper Ressourcen eine geschmackvolle Tugend entsteht. Daher sollten noch verwertbare Reste in Zukunft wieder in aller Munde und nicht auf der Müllkippe sein.

Verkochen statt vernichten

Verkochen statt vernichten“, bringt Willi Haider, Spezialist für kulinarische Müllvermeidung und haubengekrönter Botschafter der regionalen steirischen Küche, den Imperativ der dringend nötigen Restlverwertung auf den Punkt. In seiner Kindheit galten Sparen und Verwerten als ein Muss, aber auch als Ritual nach Wochenenden und Feiertagen, das man angesichts der weltweiten Vergeudung dringend wieder beleben sollte. Die Panik, im Vorfeld des Recycling-Cookings nicht zu wissen, was Kühlschrank oder Obstkorb so zu bieten haben, ist laut Haider ohnedies unbegründet, denn „im Grunde passt alles zusammen. Alles, was in der Natur gleichzeitig wächst, kann man immer mischen."

Gemüsepfannen etwa oder selbstgemachte Suppenwürze, die wochenlang hält, süß-saure Saucen, bei denen sogar Marmeladenreste oder ausgediente Krenwurzen noch beste geschmackliche Figur abgeben, schrumpelige Äpfel, aus denen mit etwas Backteig herrliche Süßspeisen werden – es gibt kaum Zutaten, die durch etwas Fantasie, Fingerspitzengefühl und frische Kräuter nicht auch im zweiten Verwertungsgang eine lukullische Bereicherung darstellen. Man denke nur an den guten alten Scheiterhaufen aus Großmutters Zeiten ...

Vorbeugen statt vergammeln lassen

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Generell gilt, was den Lebensmitteleinkauf betrifft: Weniger ist oftmals mehr. Nicht alle „Nimm drei, zahl zwei“- Angebote machen letztlich Sinn. Nicht jedes abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdatum bedeutet gleich das Ende der Genießbarkeit. Nicht jede sonntägliche Familientafel benötigt das Einkaufsvolumen einer Fußballmannschaft. Und nicht alles, was heute nicht gegessen wird, ist übermorgen schon ein geschmacklicher Verlustposten.

Caroline Pirsch von KochKunst La Soleil sieht selbst im kleinsten Haushalt große Gewinnchancen für Restlverwerterwerter. „Beim Kochen bleibt oft viel an Fleisch-, Fisch oder Gemüseabschnitten übrig, die zu schade sind, um sie in die Mülltonne zu kippen. Es lohnt sich, daraus schmackhafte Fonds und Saucen zu produzieren, die man auch portionsweise einfrieren kann. Aus überschüssigem Eiweiß kann noch wunderbares Gebäck, wie etwa eine Pavlova gebacken werden. Und wer nicht nur seinem Haushaltsbudget, sondern auch der Umwelt einen Gefallen tun möchte, sollte bereits beim Einkauf zu heimischen Produkten wie Süßwasserfischen greifen und diese am besten vor Ort beim Produzenten erwerben.

Großmeisterin der Vorratshaltung

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Aber was tun, wenn der Schaden bereits angerichtet, also der Kühlschrank schon überquillt vor lauter kulinarischer Puzzleteilchen, die sich keiner Rezeptur zu fügen scheinen? Gerade bei frischen Fisch- und Fleischabfällen ist guter Rat da keinesfalls teuer. Und man muss weder Nachbars Hund noch die eigene Katze bemühen.

Ingrid Pernkopf, die Großmeisterin der Vorratshaltung, schwört hier auf die Herstellung von Fonds. Je nach Menge lässt sich eine Farce oder ein Fleischeintopf zubereiten, der sich perfekt auf Vorrat produzieren lässt. Einfach Fleischabschnitte und Knochen klein hacken und tiefkühlen, bis es sich mengenmäßig lohnt, einen Fond zuzubereiten. Auch Gemüseabfälle mitsamt Schalen kommen mit in den Topf. Dazu Schlagobers, mit Wasser ausgespülte Reste von Milchpackerln, passende Saucen, Suppen und Bratensaftreste (auch von Töpfen und Pfannen) mit wenig Wasser aufgießen, auch Speckreste und -schwarten, kleine Mengen an Schokoladen- (für Wild- oder Rindsbratensauce) oder Chutneyreste verfeinern den Geschmack des Fonds.  Selbst rohe Geflügelknochen oder gar Fischkarkassen werden bei Pernkopf zu einem würzigen Fond, der für Suppen, Risotti, Saucen oder zum Aufgießen für etwa Rahmnudeln verwendet werden kann. Das Ergebnis? Viel mehr taste als waste!

Einfach und effizient

Einige praktische Tipps gegen Verschwendung und Verderben.

Einkauf

    Einkaufszettel schreiben und nicht hungrig einkaufen gehen.Vor dem Einkauf genaue Mengenangaben für die Menüplanung aufstellen.Grundpreise und Aktionen vergleichen. Nicht immer sind Großpackungen günstiger.Lebensmittel können auch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums verwendet werden, vertrauen Sie Ihrer Nase und Ihren Augen.

Lagerung
    Obst erst kurz vor dem Essen waschen, sonst schimmelt es schneller.Zwiebel, Erdäpfel und Knoblauch dunkel und kühl lagern, sonst treiben sie aus.Karotten und Radieschen ohne Grün lagern.Obst und Gemüse immer getrennt aufbewahren.Wasserhältiges Gemüse, Brot, Öle, Bananen und Zitrusfrüchte gehören nicht in den Kühlschrank.Eier mit der Spitze nach unten lagern, so halten sie länger.Mit Frischhaltefolie bedecktes Eiklar hält im Kühlschrank einige Tage.

Verwertung
    Altbackenes Brot und Gebäck lassen sich im Ofen oder Toaster wieder aufbacken. Klappt auch das nicht mehr, kann man es im Fleischwolf zu Semmelbrösel verarbeiten.Hart gewordene Kekse zerstampfen und statt Mehl beim nächsten Kuchen verwenden.Mit übrig gebliebenen Weinen lassen sich Saucen, Risotti und Suppen verfeinern.Kochwasser von Wurzelgemüse, Karfiol oder Kohlrabi aufheben und zum Aufgießen von Suppen, Saucen und Risotti verwenden.Alte Weihnachtsmänner und Osterhasen schmelzen und zu heißer Schokolade oder Schokoglasur verarbeiten.

Buch-Tipps

Ingrid Pernkopf: „Resteküche“ 304 Seiten,
ISBN: 978-3-854-31653-4, Pichler Verlag, € 29,99

Hildegard Möller: „Restlos“ 144 Seiten,
ISBN: 978-3-440-13947-9, Franckh Kosmos-Verlag, € 15,50

„Das ist doch noch gut“ 128 Seiten,
ISBN: 978-3-902-90079-1, Echomedia-Verlag, € 14,99