Essig-Genuss

Mit einem Tropfen Honig fängt man mehr Fliegen als mit einem Fass Essig. Ja, das mag schon sein, aber uns Gourmets kann man mit gutem Essig sehr wohl fangen. Dass sauer wirklich lustig (und auch glücklich) macht, möchten wir Ihnen anhand der folgenden Beispiele beweisen.

Sauerstoff-Erzeugung
Doch bevor wir uns dem kulinarischen Genuss hingeben, wollen wir uns ansehen, wie Essig überhaupt erzeugt wird. Eigentlich ganz leicht, denn im einfachsten Fall lässt man ein alkoholisches Getränk mit vier bis sieben Volumenprozent offen stehen. Am besten geeignet dafür ist ein warmer Ort. Ganz von selbst siedeln sich dann wilde Essigbakterien an, als Überträgerin fungiert zum Beispiel – und wer wäre dafür wohl besser geeignet – die Essigfliege. Diese Essigbakterien oxidieren in Kombination mit Sauerstoff den enthaltenen Alkohol zu Essigsäure und Wasser (wer's genau wissen möchte: CH3CH2OH + O2 =>CH3COOH + H2O). Wenn diese Bakterien ihre Arbeit erledigt haben, sammeln sie sich als galertartige Masse auf der Oberfläche an, als so genannte Essigmutter.

Man spricht beim Essig also streng genommen nicht von Vergärung, sondern von Veratmung des Alkohols, da hier im Gegensatz zur alkoholischen Gärung Sauerstoff aus der Luft nötig ist. In kommerziellen Essigproduktionen läuft die Sache im Grunde genau gleich ab, nur warten Profis nicht auf die Essigfliege, sondern arbeiten mit Essigbakterien, die gezielt geimpft werden.

Balsam für Seele und Gaumen
Als Grundprodukt für Essig eignet sich eigentlich fast alles: Wein oder Bier, vergorenes Obst oder Gemüse, Malz oder Reis, aber auch zum Beispiel Honig für Met-Essig. Der König unter den Essigen jedoch ist ohne Frage der Aceto Balsamico (alleine der Name klingt doch schon wie eine Streicheleinheit für die Seele, oder?). Das Original stammt aus den italienischen Provinzen Modena und Reggio Emilia und dessen Herstellung unterliegt strengen Bestimmungen, die in einem entsprechenden Erlass von 1965 festgelegt wurden. Dieser „Aceto Balsamico Tradizionale di Modena“ wird aus besonders reifen und daher sehr süßen Trebbiano-Trauben hergestellt und reift dann einige bis viele Jahre in speziellen Holzfässern. Da nie der ganze Zucker in Alkohol und somit in Essig umgewandelt werden kann, schmeckt ein solcher Essig immer süßlich. Je längerer lagert, desto dickflüssiger und geschmackvoller wird er.

Saures Milieu für die Küche
Kommen wir nun zu der Verwendung von Essig in der Küche – wobei hier der Platz ohnehin nicht reichen würde, um alle Möglichkeiten aufzuzählen. Denn Essig gehört nicht nur in das Salatdressing, sondern eignet sich auch als Marinade für Grillfleisch, gibt Saucen den letzten Schliff, verfeinert Suppen und der süße Aceto Balsamico macht sich auch auf Vanilleeis oder frischen Erdbeeren ganz großartig, ebenso wie zu einem Stück altem Parmesan. Besonders hochwertige Essige können sogar pur oder eins zu eins mit Wasser oder Fruchtsaft verdünnt als Aperitif oder Digestif getrunken werden. 

Macht sauer gesund?
Bereits Hippokrates wusste, dass Essig bei Atemwegserkrankungen und Verdauungsbeschwerden helfen kann. Im Mittelalter galt vor allem Kräuteressig als Heilmittel. Hildegard von Bingen und Nostradamus berichteten in ihren Büchern von der desinfizierenden Wirkung von Essig. Von Pfarrer Kneipp stammt der so genannte Essigstrumpf gegen Durchblutungsstörungen, Einschlafproblemen und Nervosität. Dazu vermischt man vier Teile lauwarmes Wasser mit einem Teil Essig, taucht Baumwollstrümpfe darin ein, zieht sie an und lässt sie eine Stunde einwirken. Als „Essigpatscherln“ soll er auch fiebersenkend wirken. Es heißt, dass die Menschen noch im 18. Jahrhundert versucht haben, sich vor der Pest zu schützen, indem sie ihren ganzen Körper mit Essig einrieben.

Ein Apfel(essig) am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen? Das berühmte Glas Wasser mit Apfelessig, täglich direkt nach dem Aufstehen getrunken, soll bei der Entgiftung des Körpers sowie beim Abnehmen helfen. Auch wenn viele Menschen darauf schwören, gibt es – abgesehen von der antibakteriellen Wirkung – keine wissenschaftlichen Beweise dafür.

Kaiserin Sissi hingegen schätzte Essig weniger als Heil-, sondern als Schönheitsmittel. Ihr Veilchen-Essig erlangte immerhin ähnliche Bekanntheit wie sie selbst. Tatsächlich kann man Essig eins zu eins gemischt mit Wasser zur Gesichtsreinigung verwenden, im Verhältnis drei zu eins als milde Haarspülung und 100 Milliliter Essig auf eine Badewannenladung Wasser als Schönheitsbad. Die milde Säure entfernt überschüssige Fette und stellt auf natürlichem Weg den pH-Wert der Haut wieder her. Denn – kurios, aber wahr – auch wenn Essig sauer schmeckt, erzeugt er (ebenso wie andere saure Speisen) im Körper und auf der Haut keine saure, sondern eine basische Reaktion und beeinflusst daher das Säure-Basen-Verhältnis positiv. Noch ein Tipp: Nagellack hält besser, wenn man die Hände vor dem Lackieren fünf Minuten in einer Essig-Wasser-Mischung (ein Teil Essig, zwei Teile Wasser) badet.

And the winner is ...
Von der grauen Theorie kommen wir nun zur köstlichen Praxis. Denn wir haben uns in den vergangenen Wochen ganz schön Saures gegeben … Was war geschehen? Wir haben Essig-Produzenten aus dem In- und Ausland gebeten, ihre besten Produkte zu unserer großen Essig-Verkostung einzureichen. Zahlreiche Hersteller sind unserem Aufruf gefolgt und so durften wir schließlich Dutzende Essige auf Optik, Geruch und Geschmack testen. Wir haben Punkte vergeben und Gewinner gekürt. Und hier sind sie: Die Top-Drei der beiden Kategorien Gärungsessig und Balsamico.

Hier geht es zu den Ergebnissen der Öl-Verkostung.